Interview mit Friedens- und Konfliktforscher Jens Stappenbeck
Durch den Angriff Russlands auf die Ukraine ist Krieg auch in Europa wieder ein nahes, akutes Thema für viele Menschen geworden. Die West-Östliche Weisheit Willigis Jäger Stiftung greift das Thema „Krieg und Frieden – überall?“ beim diesjährigen Frühjahrscamp für Studierende und Auszubildende auf. Um der Auseinandersetzung mit dem Thema auf individueller Ebene eine fundierte fachliche Basis zu geben, hat die Stiftung den jungen Friedens- und Konfliktforscher Jens Stappenbeck dazu eingeladen. Er ist Geschäftsführer von Genocide Alert e.V., wissenschaftlicher Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) und promoviert an der Universität Frankfurt zur Frühwarnung vor Massenverbrechen und Bürgerkriegen. Wir konnten schon vorab mit ihm sprechen.
Herr Stappenbeck, was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung aus den letzten Jahren?
Die internationale Ordnung ist nicht so stabil, wie es sich manche gewünscht haben. Sie ist aber viel widerstandsfähiger, als es in vielen Debatten zurzeit den Eindruck macht. Die Friedens- und Konfliktforschung konzentriert sich seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine wieder stärker auf zwischenstaatliche Kriege, die Wirkung von Sanktionen und Rüstungspolitik. Das ist nötig. Wichtig ist, dabei nicht aus dem Blick zu verlieren, dass die Zahl der innerstaatlichen Konflikte viel höher ist und es dort nach wie vor viel Handlungsspielraum zur Prävention gibt. Es ist keine neue Erkenntnis, aber es lohnt sich, das zu unterstreichen: Sind Gewaltkonflikte einmal ausgebrochen, sind sie sehr schwer zu beenden (Afghanistan, Mali, Ukraine). Wichtig ist, frühzeitiger und umsichtiger zu handeln.
Was macht Konfliktprävention so schwierig und was könnte sie erleichtern?
Ist ein Gewaltkonflikt ausgebrochen, erscheinen Versäumnisse und Fehler rückblickend vermeintlich offensichtlich. Im Vorfeld sind Investitionen in die Krisenprävention aber immer umstritten: Ist das Risiko wirklich so eindeutig? Wären Mittel und Personal nicht anderweitig effektiver eingesetzt, etwa bei der humanitären Katastrophe X oder beim Wiederaufbau in Land Y? Was bedeutet das für unsere Wirtschaft? Wie viele Kosten sind wir bereit in Kauf zu nehmen, obwohl ein Ereignis gar nicht sichtbar ist?
Die Grundproblematik gleicht die der Anti-Coronamaßnahmen. Wenn präventive Maßnahmen erfolgreich sind, erscheinen sie schnell als überflüssig. Es ist schließlich nichts Schlimmes passiert. Passiert aber etwas, haben die ergriffenen Maßnahmen es ja auch nicht verhindert. In beiden Fällen erscheint Prävention als Ressourcenverschwendung. Das ist das Grunddilemma der Prävention. Auch sind Präventionsmaßnahmen selten risikofrei. Wissenschaftliche Forschung kann aufzeigen, was für Maßnahmen in welchem Kontext und in welchem Zeitraum wirken oder eben auch nicht wirken. Es sind letztlich aber immer politische Entscheidungen.
Welche Schlüsse ziehen Sie daraus speziell im Hinblick auf junge Menschen?
Konflikte sind etwas zutiefst menschliches und können einen produktiven Charakter haben, wenn sie friedfertig ausgetragen werden. Wichtig ist also nicht die Vermeidung von Konflikten. Im Gegenteil: Es gibt ja viel, wofür es sich einzustehen lohnt. Was zählt, ist die Art Ihrer Austragung.
Da frühzeitiges präventives Engagement mit gewissen Dilemmata, Unsicherheiten, Kosten und unklaren Erträgen einhergeht, wird es oft vertagt. Oft geht das ja auch gut: Kriege und andere Katastrophen sind zum Glück sehr seltene Ereignisse. Brechen sie aus, sind sie aber enorm folgenschwer. Am frühzeitigen Handeln interessierte Politiker:innen brauchen hier Rückenwind. Es lohnt sich zu zeigen, was einem wichtig ist – wie beim Klimawandel auch.
Haben Sie Erkenntnisse darüber, was der/die Einzelne zur Konfliktprävention auf gesellschaftlicher und persönlicher Ebene beitragen kann?
Auf persönlicher und gesellschaftlicher Ebene kommen eher psychologische und soziologische Forschungsansätze zum Tragen. Gewaltkonflikte und insbesondere systematische Gewalt gegen Zivilisten werden u.a. durch die Wahrnehmung realer oder fiktiver sozio-ökonomischer Ungleichheiten, Ausgrenzung und Diskriminierung begünstigt. Regelmäßig gehen schweren Menschenrechtsverletzungen und Gewaltakten kleinere Gewalttaten oder Hassreden zuvor, in denen sozusagen die Grenzen des Machbaren ausgekundschaftet werden. Eine tolerante Gesellschaft, in der die Einzelnen sich Hassreden, Diskriminierung, und Ausgrenzung entgegensetzen, ist insofern weniger konfliktanfällig. Ganz eindrücklich formuliert: Der Holocaust startete nicht mit Konzentrationslagern. Vor dem Völkermord in Ruanda konnte ein Radiosender ungestört Hass gegen die Tutsi verbreiten. Sie wurden entmenschlicht und mit Kakerlaken verglichen. Im Völkermord töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit etwa 75% der in Ruanda lebenden Tutsi-Minderheit. Dem Völkermord in Myanmar gingen massive Hassreden gegen die muslimische Minderheit der Rohingya auf Facebook zuvor. Auch wenn zum Glück nicht überall, wo Minderheiten ausgegrenzt werden, auch massive Gewalttaten an ihnen verübt werden, so ist das doch eine Grundbedingung. Hier können auch Einzelne entgegenwirken im persönlichen und gesellschaftlichen Umfeld.
Vielen Dank für das Gespräch! Wir freuen uns auf Ihren Besuch am Benediktushof.
Frühjahrscamp für Studierende und Auszubildene mit Jens Stappenbeck, Manfred Rosen und Maria Kolek Braun
5.-8.3.2023 auf dem Benediktushof
Vorträge:
– Jens Stappenbeck: „Eine friedlichere Welt? Erkenntnisse aus der Friedens- und Konfliktforschung“
– Maria Kolek Braun: „Friede, nimm meine Hand – Frieden in der Welt fängt bei mir selber an“
– Manfred Rosen: „Wie konnte das passieren? Wenn der ‚Frieden‘ zur Illusion wird. Krieg und Frieden aus der Perspektive einer spirituellen Praxis“
Workshops:
– Alexandra Andersen: „Gewaltfreie Kommunikation“
– Cornelius von Collande: „Die drei Grundsätze der Zen-Peacemakers“
– Alwine Deege: „Singen aus Freude am Leben – Spirituelle Friedenslieder“
– Doris Kiuntke: „Aikido – Einfache Partnerbewegungen“
– Ansgar Sievering-Glatz: „Achtsame Yoga-Praxis als spiritueller Weg“
– Jens Stappenbeck: „Herausforderungen bei der Konfliktprävention“