Guter Wandel braucht nur eine Prise Salz

Weisheits-Journal

Ausgabe

03/2023
Weisheits-Reportage

Guter Wandel braucht nur eine Prise Salz

Mareike Ullrich, zweite Küchenchefin am Benediktushof

„Essen kann so viel Lebensfreude sein. Und so viel Lebenskraft geben.“ Mareike Ullrich, zweite Küchenchefin am Benediktushof, steht an diesem sonnigen Augustnachmittag vor einem festlich gedeckten Tisch im Hofrestaurant „Troand“. Auf den Stühlen liegen fein gestärkte schwarze Schürzen. Hinter den Stühlen stehen vier vorfreudig-erwartungsvolle Frauen. Sie haben sich zum achtsamen Kochkurs „Fermentieren, Einkochen, Einlegen: Veredelung der Ernte des Jahres“ bei Mareike Ullrich angemeldet.

In einer kurzen Vorstellungsrunde am Tisch wird schnell deutlich: Alle Teilnehmerinnen bringen Erfahrung mit. Eine Frau aus einem Nachbardorf kocht seit Jahrzehnten ihren großen Garten in kleine Gläser ein. Sie hat den Kurs im Gemeindeblatt entdeckt und freut sich auf neue Ideen. Gleich zwei Frauen am Tisch sind langjährig Übende am Benediktushof, wollen ihre Praxis mit dem Kochen veredeln. Eine junge Frau hat mit ihrem Freund einen Garten zur Selbstversorgung in Würzburg gepachtet und hofft auf Tipps und Tricks und Ideen zur Haltbarmachung.

Kochen mit Klangschale

Tipps und Tricks und Ideen wird es reichlich geben, und auf jedem Platz liegt auch schon eine Rezeptsammlung bereit. Erst einmal aber ertönt eine Klangschale. Mareike Ullrich führt sanft durch eine kurze Achtsamkeitsmeditation, lässt eine sammelnde Stille entstehen.

Dann geht es los. Neben der Küche stapelt sich kunstvoll geschichtetes Obst und Gemüse, duften Gewürze in kleinen Schälchen, finden sich unterschiedliche Gläser zum Einwecken und Fermentieren. Und auf dem Tresen stehen die bunten Fermente, die Mareike Ullrich vorbereitet hat. Sie duften – oder riechen streng, alles ist möglich.  

Tagelang hat die achtsame Köchin die Fermente vorbereitet

Alle dürfen probieren. Alle staunen: mit Salz fermentierte Birnen und Heidelbeeren – mit Salz! Zarte Radieschen, die nach Nelken und Weihnachten schmecken. Scharfes koreanisches Kimchi, eingekochte Salatgurken, eingelegte Champions, Salbeiöl und andere Köstlichkeiten.

Und es ist ja auch zum Staunen. Sauerteig, schwarzer Tee, Oliven, Joghurt, Käse, Schokolade, echte Vanille, Kefir, Tempeh, Kombucha sowie Essig, Wein und Bier – so viele Lebensmittel gäbe es ohne diesen fermentierten Wandel, ohne die mikrobakterielle Umwandlung gar nicht. Doch was passiert schon groß: Man übergießt Gemüse mit Salzlake. Und wartet. Wie spannend, mit Blick auf unser Thema in dieser Ausgabe des Weisheitsjournals! Denn mit einem Hauch Wissen über Prozesse bei Lebensmitteln geschieht der eigentliche Wandel von fast allein. Denn legt man den Prozess unters das Mikroskop, bekommt man doch was zu sehen.

Mikroorganismen, also Pilze z.B. oder Bakterien, besiedeln die Lebensmittel und wandeln Stärke und Zucker in ihnen in Säure um, was unser Essen haltbar macht. Die Frage ist auch, welche Bakterien ins Spiel kommen. Sind es Fäulnisbakterien, haben wir Pech, die Nahrung verdirbt. Mit Glück aber sind sogenannte probiotische Bakterien. Geben wir solchen, also z.B. Milchsäurebakterien, die richtigen Bedingungen, dann läuft der Fermentierungsprozess eben -fast – von alleine.

Kochkunst ist Lebenskunst

Vielleicht ein schönes Bild dafür, wie uns achtsames Kochen mehr mit uns und unserem eigenen Leben verbindet und Raum für Fragen lässt. Denn, was sind denn die Pilze, die Fäulnis und Verderben bringen – oder die guten Bakterien in unserem Leben? Oder auch: Was sind die guten Bedingungen, die der Fermentierungsprozess braucht? Vielleicht gewinnen wir so Einsichten, oder gar die Hoffnung: Wenn wir um die Prozesse wissen und uns entsprechend verhalten, wird der (gute) Wandel die Folge sein.

Frisches Gemüse und edle Gewürze sind die Basis für tolle Ergebnisse

Und vielleicht kommt hier in den bunten Einweckgläsern, angefüllt mit Kostbarkeiten, am besten zum Ausdruck, was Wandel auch braucht: Zeit. Ruhe. Wandel muss entstehen. Und deutlich wird auch: Nicht alles kann in die kleinen Gläser wandern, nicht alles kann umgewandelt werden. Daran ist nicht zu rütteln, das müssen wir aushalten.

Wenn es um die Verbindung von Kochen und Leben geht, wandelt Mareike Ullrich, die Yogalehrerin ist und Vipassana übt, auf berühmten Spuren. Der Zen-Lehrer Ed Brown gibt Kochkurse, um seine Schüler:innen in der Kunst des Lebens zu unterrichten. Seine Kochbücher sind bis heute millionenfach verkauft, noch bekannter wurde er durch den Kinofilm von Doris Dörrie „How to cook your life“.

Anders als Ed Brown ist Mareike Ullrich nicht in der Küche eines Zen-Klosters, in dem Koch oder Köchin die zweite Position hinter Abt oder Äbtissin haben, ausgebildet worden, sondern in Leipziger Sternehotels. Dort hat sie viel gelernt, aber die Art der Ausbildung, vor allem die Härte, die Bedingungen und den Umgangston hält sie heute nicht mehr für zeitgemäß. „Nach der Ausbildung musste ich mich erstmal erholen. Dabei habe ich eine tolle Meditationsgruppe und großartige Lehrer kennengelernt. Und wusste: Ich will beides verbinden.“

Genau das, Achtsamkeit und Kochen verbinden, kann Mareike Ullrich auf dem Benediktushof. „Ich bin glücklich hier. Glücklich mit dem Ort, mit meinem Arbeitgeber, mit den Gästen und mit der vegetarisch-veganen Küche.“ 

Glücklich ist Mareike Ullrich auch darüber, dass sie Raum für eigene Projekte bekommt, wie die Achtsamkeitsdinner, bei denen einmal im Monat jeder Gang einem anderen Sinn gewidmet ist. Oder eben die achtsamen Kochkurse.

Festlich, achtsam und köstlich

Hier zu kochen, macht glücklich

Unterdessen darf sich jede Teilnehmerin zwei oder drei Rezepte aussuchen und loslegen. Mareike Ullrich hat ihre Augen überall, hilft, Öl auf die richtige Temperatur zu bringen, zeigt die richtige Schnitttechnik für die Fermente und lädt ab und an zur Stille ein, dazu, nur zu schneiden, zu rühren oder zu wiegen. Erst klappern Deckel und Gläser auf dem Herd beim Auskochen, nach und nach füllen sich immer mehr der sterilisierten Gefäße.

Als schließlich Zeit und Vorräte zur Neige gehen, hat Mareike Ullrich noch eine Überraschung, mit der niemand gerechnet hat: Sie bittet zu Tisch, serviert erst einen fermentierten Rosen-Lavendeldrink und dann ein dreigängiges Menü, in dem die Fermente wieder auftauchen. Zum Beispiel das Salbeiöl im Risotto oder zum Dessert die Salzblaubeeren, jetzt an der Seite eines Lavendelparfaits. Endlich kann Mareike Ullrich ihre Küche lassen, hat Zeit für letzte Fragen und einen vertieften Blick auf den Nachmittag. Die Teilnehmerinnen strahlen und geben phänomenale Feedbacks. Weil die Zeit so schön gewesen sei, weil sie inspiriert nach Hause gingen, weil sie jetzt viele Ideen für den kommenden Herbst, die Streuobstwiese und den Selbstversorgergarten hätten.

So viel Teilnehmerinnenglück macht auch die Köchin glücklich. Als alle gegangen sind, muss sie noch die Fermente weg- und die Küche aufräumen. Das dauert, der Mond ist schon aufgegangen, aber endlich ist alles zurück verwandelt. So, als hätte nie ein Kochkurs stattgefunden. So, als könnte gleich am Morgen der nächste beginnen. So wie das Leben, das sich immerfort wandelt. Ob wir wollen oder nicht.

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